Prozess – Schuld und Stacheldraht | Panorama

Christian Tiffert stürzte beim Mountainbikefahren über gespannte Drähte, die einen Waldweg absperrten, und ist seither querschnittsgelähmt.

Jetzt entscheidet der Bundesgerichtshof, dass die zuständige Gemeinde und die Pächter des Waldstücks verantwortlich sind. Wie viel Schmerzensgeld Tiffert genau bekommt, muss noch das Oberlandesgericht Schleswig klären.

Der ehemalige Marineoffizier hat inzwischen neue Wege gefunden, auch im Rollstuhl mobil zu bleiben.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Der Waldweg, auf dem das Leben des Christian Tiffert eine brutale Wendung nahm, ist eine Sackgasse. An einem Freitag im Juni 2012 fuhr der sportliche Zwei-Meter-Mann mit seinem nagelneuen Mountainbike in den Wald von Braak, nordöstlich von Hamburg. Unbekannter Weg, er fuhr nach Karten-App – mit Navigation kannte er sich als passionierter Segler aus. Irgendwo im Wald würde der Weg enden, das wusste er, aber noch nicht hier am Schild mit dem roten Kreis, das nur für Autos und Motorräder galt. Seltsam zwar, dass es mitten auf dem Weg an zwei Holzlatten hing. Aber man konnte ja dran vorbeifahren.

Christian Tiffert, damals 35 Jahre alt, hatte die Drähte zu spät gesehen. Zwei verzinkte Stacheldrähte, von der Mitte zum Rand gespannt. Damit sollte eine Ruhezone für das Wild durchgesetzt werden, außerdem wollte die Gemeinde Braak unterbinden, dass die Leute ihren Müll im Wald abladen. Tiffert bremste, stürzte, verfing sich in den Drähten und konnte sich nicht mehr regen. Knapp zwei Stunden später fand ihn der Wald- pächter. Die Ärzte diagnostizierten den Bruch eines Halswirbels; Querschnittslähmung von den Schultern abwärts.

Die Karriere als Offizier, das Hobby-Segeln – alles vorbei

Die Schuldfrage, sagte Tiffert zuvor im Telefongespräch, das sei schon ein Thema, das einen in so einer Situation betreffe. Er erzählt dann allerdings erst einmal von seinem Vater, der sehr darunter gelitten habe, dass niemand für diesen Unfall bestraft worden sei. Und er selbst? Klar, sein früheres Leben sei ihm durch den Unfall weggebrochen. Die Karriere als schiffstechnischer Offizier auf der Fregatte Brandenburg, die Segeltörns nach Stockholm oder Helsinki auf seinem 7,50-Meter-Boot, auf dem er jeden Sommer verbracht habe. „Das ist mit einem Schlag nicht mehr möglich“, sagt Tiffert.

Viel lieber erzählt er allerdings von seinem neuen Leben, genauer: von Russland. Der Mann, der seinen elektrischen Rollstuhl mit dem Kinn steuert, hat seine Touren vom Wasser aufs Land verlegt. Drei Mal ist er bereits nach Russland gereist, keineswegs nur in Vorzeigestädte. Vergangenes Jahr schaffte er es bis nach Surgut im Westsibirischen Tiefland, 7000 Kilometer in 30 Tagen. Ihm sei es wichtig, das Land kennenzulernen, abseits von Moskau und Sankt Petersburg. Und abseits der Politik.

Vier Assistenten und rund um die Uhr Betreuung, Tifferts Reisen sind ein logistischer Kraftakt. Vier Assistenten sorgen für die unabdingbare 24-Stunden-Betreuung – er benötigt allein vier Stunden vom Bett in den Rollstuhl. Mit zwei Transportern fahren sie durchs Land, mit seinem „Rolli“ umkurvt er die meist viel zu hohen Bordsteine in den Städten; zur Not hat er eine eigene Rampe dabei.

Längst hat Tiffert aus seinen Reisen ein karitatives Projekt gemacht. Er kooperiert mit lokalen Rotary-Clubs, besucht soziale Einrichtungen, sammelt Spendengelder für andere Menschen mit Behinderung. Er selbst habe eben ein optimistisches Naturell, davon wolle er anderen in ähnlicher Lage etwas weitergeben: „Nutze die Möglichkeiten, die du hast, um deine Ziele zu verwirklichen.“ Dokumentiert sind seine Aktivitäten übrigens auf seiner Homepage, sie heißt eingängig „Find-your-road“. Er hat sie gefunden, seine Straße, und es war keine Sackgasse.

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