Wie die Reise weiterging und endete

Von Achangelsk machten wir uns auf den Weg Richtung Süden. Wir ließen das Weiße Meer hinter uns und steuerten unser nächstes Ziel in Krasnoborsk an. Dort sollte eine große Blockhütte auf uns warten, die, an einem kleinen Weiher gelegen, einen sehr idyllischen Aufenthalt bot. Aus einer geplanten Nacht wurden zwangsläufig zwei, die wir hier verbrachten, da uns auf dem Weg dorthin das erste Unglück heimsuchte. Nachdem ein Teil der Gruppe bereits vorgefahren war, um die Unterkunft vorzubereiten, fuhren wir mit unserem Mietwagen 2 Stunden verzögert aus Achangelsk hinterher. Wir waren bereits an die Straßenverhältnisse gewohnt und unsere Fahrer schauten sich schnell den Russischen Fahrstil ab, sodass wir immer zügiger vorankamen, aber mit einem Komplettausfall unseres Autos hat keiner gerechnet. Ein übersehenes Schlagloch – und nichts ging mehr. So standen wir 70 km vor dem Ziel am Straßenrand. Ob der Schlüssel sich im Zündschloss drehte oder gar nicht drin steckte, machte für das Auto keinen Unterschied. Lediglich die Warnblinkanlage signalisierte allen, dass etwas nicht stimmte. Wir riefen also bei der Gruppe an, die bereits in Krasnoborsk war. Sie entluden den T5 Bus, um mich und alle nötigen Utensilien abzuholen und  in unsere Hütte zu bringen. Svitlana sprach in der Zwischenzeit mit ein paar Leuten aus dem Ort. Sie fand einen hilfsbereiten Arbeiter, der mit seinem LKW folgte, um unser Auto abzuschleppen. Auf russische Art hat er mit einem Schraubenschlüssel und ein wenig Draht das Abschleppseil befestigt. Alex folgte tapfer, bei abendlicher Dunkelheit den Rücklichtern der neuen Zugmaschine.

Erschöpft vom Tag reichte uns eine aufgewärmte Dose mit Nudel und ein gemeinsamer Absacker auf die Strapazen des Tages. Eine Lösung für das immer noch blinkende Auto sollte am nächsten Tag gefunden werden.

Nach einigen Telefonaten und Gesprächen mit Anwohnern aus Krasnoborsk, hatten wir einen Fiat Techniker am Telefon und einen Automechaniker an unserer Seite. Unsere Dolmetscherin, Lena, übersetzte die Zustandsbeschreibung des Autos an den Experten nach Deutschland und die möglichen Reparaturvorschläge an unseren russischen Mechaniker. Nach 20 Minuten brummte der Ducato wieder, als wäre nichts gewesen. Die Ursache unserer Panne war der Crashsensor. Er wurde durch ein Schlagloch ausgelöst und hat die gesamte Elektronik des Autos abgestellt, sowie die Benzinzufuhr verriegelt. Ein Knopfdruck auf einem versteckten Schalter im Fußraum des Beifahrers hat gereicht und die Fahrt konnte weitergehen. Wie sensibel solch ein Sensor ist, haben wir auf der Reise noch einmal erlebt, aber bei dieser Gelegenheit konnten wir unser neu erlangtes Mechanikerwissen anwenden und den Knopf selbst betätigen.

Die Weiterfahrt aus Krasnoborsk stand an diesem Tag jedoch außer Frage, so hatte das gesamte Team einen Off-Tag. Selbstgemachtes Schaschlik, ein gemütliches Plätzchen am Weiher und jede Menge Wodka, bei meiner Lieblingsmusik, versetzte uns alle in eine heitere Laune und wir genossen einen wunderschönen Tag außer Plan.

Das nächste Etappenziel war Kirow, im gleichnamigen Oblast. Hier musste ich mir eingestehen, dass die Reise eine neue Wendung nimmt. Der luftgefederte Sitz in meinem Auto ist ausgefallen. Im Schnitt haben wir bei jeder Tour der letzten Tage 8 Stunden im Auto gesessen. Dabei hat sich ein Druckgeschwür auf Grund der Belastung an meinem Po gebildet, ein Dekubitus.

Die geplant Weiterfahrt verzögerte sich um ein paar Tage, an denen wir die Wunde erst einmal beobachten wollten. Fest stand jedoch, dass wir die Fahrzeiten verringern müssen.

Wir fuhren von Kirow mit einem nächtlichen Zwischenstopp in Yoshkar-Ola weiter nach Kazan. In Yoshkar-Ola haben meine Assistenten kurzer Hand das ganze Hotelzimmer umgebaut. Wir haben die Bettgestelle der Einzelbetten auseinander genommen und daraus ein Doppelbett mit Zurrgurten zusammengesetzt. Spontane und improvisationsfähige Begleiter sind das Wichtigste auf einer Reise wie dieser.
Am nächsten Tag ging es weiter nach Kazan, einer sehr modernen und hübschen Stadt. Leider war es mir hier noch immer nicht möglich, einen längeren Ausflug durch die Straßen zu unternehmen.

Wie ich in den nächsten Wochen feststellen musste, ist ein Dekubitus eine sehr langsam verheilende und pflegeintensive Wunde. Da sie sich direkt am Steißbein befand, wurde sie im Sitzen somit einem ständigen Reiz ausgesetzt. Wir machten also während den Touren viel häufiger Pausen, damit ich mich regelmäßig in meinem Rolli hinstellen konnte, um den Po zu entlasten.
Dann steuerten wir auch schon den letzten Ort meiner Reise an. In Perm sollte es also enden. Natürlich hofft man in solchen Momenten immer noch auf ein Wunder und die Zuversicht, dass es weitergehen wird, war bei allen groß, doch Perm fesselte mich ans Bett und hielt mich im Zimmer 912 in Gefangenschaft. 7 Tage verbrachte ich dort. Meine Assistenten scherzten schon, was die Hotelangestellten wohl denken mögen: „Was passiert in Zimmer 912?“ Niemand hat das Zimmer betreten, die Reinigungskräfte werden an der Tür abgefangen. Frische Bettwäsche und Kaffeetütchen werden von ständig wechselnden Assistenten entgegengenommen. „Wer ist dieser Herr Tiffert und was mach er dort oben? Hat ihn schon mal jemand gesehen?“ Auch wenn es manchmal schwer fällt, darf man seinen Humor nicht verlieren.
Auch Perm sollte nur ein Zwischenstopp auf dem Weg nach Jekaterinburg sein. Für die Mission meiner Reise war Jekaterinburg ein wichtiges Ziel. Der deutsche Generalkonsul, lud mich ein, um sich mit mir über meine Reise und Russland zu unterhalten. Mir wurden Termine für einige Zeitungsinterviews zugesagt und das Konsulat stellte ein vielversprechendes Programm für mich auf, worauf ich mich sehr freute. All das musste ich absagen, was mich natürlich sehr traurig stimmte.
So gerne ich auch Jekaterinburg besucht hätte, lag mir meine Gesundheit noch mehr am Herzen.
Die Wunde sollte soweit kurieren, damit die Rückreise nach Deutschland nicht noch mehr Schaden verursacht.
Ich wollte meine Assistenten nicht auch mit Langerweile belasten und schickte sie in zwei Gruppen, für je eine Nacht über die Europa-Asien-Grenze nach Jekaterinburg.
Ich verbrachte meine Zeit im Zimmer 912 mit jeder Menge Filme, Livekonzerten, „Assi-Talk“(was natürlich nur als Abkürzung für Assistenten steht) und einem Lernprogramm für Russisch.

Wir überlegten uns, wie es so schonend wie möglich, für mich weitergehen kann und kamen zu dem Entschluss, dass ich kein Auto mehr fahren werde. Wir buchten einen Flug für mich und zwei meiner Assistenten von Perm nach Moskau. In meinem Schieberolli und beladen mit dem nötigsten für 3 Tage Aufenthalt im Flughafenhotel Moskau, flogen wir vorweg. Die anderen drei Begleiter aus meinem Team nahmen die knapp 1.500 Km Fahrt auf sich und kamen mit den beiden Autos hinterher.
Alle hatten noch einen Tag Gelegenheit, sich Moskau anzusehen. Ich durfte mich über einen besonderen Besucher auf meinem Hotelzimmer freuen. Ein Freund und ehemaliger Kommandant, der jetzt in der deutschen Botschaft in Moskau tätig ist, kam mich besuchen. Das war für mich ein sehr erfreulicher Seelentröster, nachdem doch vieles anders lief, als geplant.
Am 21. August flogen Alex und ich mit den üblichen Flugzeugstrapazen zurück nach Hamburg.
Über die Lettische Grenze nach Liepaja und mit der Fähre nach Travemünde nahm das Fahrerteam von dort die letzten 130 Km bis nach Rostock, auf sich. Über 7.000 Km verzeichnete das Tacho am Ende der Reise.

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